Ein Interview von Andreas Ziemer mit Monika Steffen und Wolfgang Hechinger, 26.03.2013, auf dem Weg nach Cordoba
Andreas Ziemer: Herr Hechinger, was ist ihnen in den vergangenen Tagen und Granada an Architektur und Stadtplanung aufgefallen?
Wolfgang Hechinger: Was mich auf dem El Albaicín überrascht hatte, war, dass die Moschee nicht alt war, sondern erst vor 10 Jahren gebaut wurde. Und sie ist dermaßen eingefügt, dass man nicht diesen Unterschied feststellen konnte zwischen alt und neu. Das wäre bei uns gar nicht möglich. Aber hier, dadurch dass es Weltkulturerbe ist, gibt es eine gute Klammer, dass alles neue sich harmonisch einfügt. das ist bei uns in Deutschland kaum möglich. Ich denke da an den Brückenbau in Dresden. Da hat die Stadt den Weltkulturerestatus verloren. Da gibt es große Unterschiede zwischen Deutschland und Spanien.
Monika Steffen: Ob das ganz Spanien ist, lassen wir mal dahin gestellt. Das wissen wir ja nicht.
Wolfgang Hechinger: Mir ist aufgefallen, dass es aber ganz unproblematisch auf dem El Albaicín auch nicht ist. Die Feuchtigkeitsschäden sind mir aufgefallen. Überall sieht man Moosbänder und Algen an den Sockelstreifen. Das Mauerwerk ist im Sockel feucht, das ist nie gut.
Darüber hinaus ist das Leben in so einem Ensemble für ältere Menschen bestimmt nicht einfach, bei den Treppen und Steigungen.
Wenn ich mir das so ansehe, könnte auch die Gefahr bestehen, dass dort eine Umwandlung erfolgen wird, wie wir sie auch in Altstadtquartieren von Großstädten haben. Dass so ein Ensemble immer mehr an Attraktivität gewinnt. Da ziehen zuerst Studenten ein oder auch Künstler und Aussteiger, die tragen einen Charme ein. So entsteht ein gutes Lebensgefühl dort. Das macht es auf einmal sehr attraktiv, auch für die Besserverdiener, dann steigen die Preise und so verändert sich ein Stadtteil. Die Ursprungsbevölkerung kann sich das dann gar nicht mehr leisten dort zu leben. Das wird dann ein Reichenviertel, wie im Prenzlauer Berg. Solche Beispiele gibt es aus der ganzen Welt. Und diese Gefahr sehe ich dort.
Andreas Ziemer: Ja, die Gärten, die sie dort Carmen nennen …
Wolfgang Hechinger: Man hat das schon gesehen, dass einige wenige Gebäude eine ganz tolle Wohnsituation haben. Viel liegt auch noch im Argen, für die Bevölkerung war das wohl akzeptabel. Die legen eben auf anderes Wert, auf Urbanität, Nachbarschaft, auch auf Gleichheit.
Andreas Ziemer: Sie leben nicht so zurückgezogen …
Wolfgang Hechinger: Genau.
Andreas Ziemer: Am Samstag haben sie erzählt, das sie darauf achten möchten wie Lebensgefühl und Architektur ineinander übergehen. Also wie sich die Alhambra und die Stadt verbinden. Was haben sie dort entdeckt?
Wolfgang Hechinger: Die Alhambra ist ein Solitär. Der steht für sich. Er zieht die Touristen an. Granada profitiert davon, aber zwischen Stadt und Alhambra gibt es keine keine direkten oder natürlichen Verbindungen.
Andreas Ziemer: Mir ist aufgefallen, dass die Kirchen in der Oberstadt in einem ähnlichen Stil wie die Alhambra errichtet sind. Gibt es dort Verbindungen oder gar eine Vermischung zwischen maurischer und christlicher Architektur?
Wolfgang Hechinger: Der Stil, der Andalusien prägt, hat nichts mit der Religion zu tun. Der Kirchturm oder das Minarett beispielsweise, sind doch ganz ähnlich errichtet und man kann kaum entscheiden, was da älter ist. Ob die Minarette sich an den Glockentürmen orientieren oder die Glockentürme an den Minaretten, ist relativ offen.
Monika Steffen: Unser Führer Alfonso sagte gestern, dass die Minarette in Andalusien nicht rund gewesen wären. Da ist die Anlehnung an den Kirchtürmen offensichtlich.
Wolfgang Hechinger: Und das ist wiederum toll, dass sich so etwas als neues Bauwerk so einfügt, dass man die Fremdheit, die man sonst bei einer Moschee empfinden würde, gar nicht mehr erkennt.
Andreas Ziemer: Kehrt jetzt so ein europäischer Islam zurück in seine alte Heimat?
Wolfgang Hechinger: Das wirft die Frage auf, wie die christlichen Kirchen vor der Islamisierung von 711 aussahen. Aber das ist mir nicht bekannt.
MS: Es ist auch nicht bekannt, dass die Moscheen auf den alten Kirchen aufgebaut wurden.
Wolfgang Hechinger: Die Hagia Sophia beispielsweise in Istanbul, das war ursprünglich eine Basilika der Ostkirche (6. Jh.), die jetzt aber als Museum genutzt wird und die zwischendurch eine Moschee war. Aber das war eine andere Zeit. Und wann kam das Christentum nach Spanien?
Monika Steffen: Lass uns da noch mal nachforschen.
Wolfgang Hechinger: Bei so einem Gespräch tauchen so viele Fragen auf. Da fällt mir ein: Die Toleranz, mit der die Muslime nach Andalusien kamen, würde darauf hindeuten, dass sie auch die Kirchen gelassen haben.
Andreas Ziemer: Und dass es eben keine Umwandlung in Moscheen gab, sondern ein nebenher beider religiöser Gebäude. Doch es gab wohl auch keine absolute Religionsfreiheit. Juden und Christen mussten eine Steuer bezahlen, die wegfiel, wenn man zum Islam konvertierte. Und deshalb war es wohl für viele Christen nicht so attraktiv, weiterhin Christ zu bleiben.
Wolfgang Hechinger: Aber diese Drangsalierung, wie man es vom Christentum kennt, wurde vom Islam nicht ausgeübt. Das ist ein großer Unterschied, denk ich mir, zu der Situation nach der Reconquista.
Andreas Ziemer: Wenn aber der größte Teil der christliche Gemeinden konvertierten, verschwinden vermutlich die Kirchenbauten von allein …
Wolfgang Hechinger: … weil die Gottesdienste in Privaträumen stattfinden, ähnlich wie zur Zeit der Christenverfolgung in den Katakomben Roms.
Monika Steffen: Mich erinnert das an Seldschuk, die Johannesbasilika, die war vorher ein Tempel für Bacchus, und wurde dann eine Kirche, eigentlich eine Umnutzung. Da hat man dann nicht viel gemacht, sondern sie einfach umfunktioniert. Das war in Seldschuk, in der heutigen Türkei, bei Ephesus. Heute ist es eine Ruine.
Andreas Ziemer: Frau Steffen, Herr Hechinger, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Hinterlasse einen Kommentar